Verband der Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker in der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck

Organistenreise nach England

Am 7. Juni brach eine 34-köpfige Gruppe von Kantor*innen und Organist*innen nach England auf, um dort britische Orgeln und Kathedralchöre kennenzulernen. Nach einer spannenden Hinreise – thanks to Deutsche Bahn – erreichten wir Reading, unser Zentrum und Übernachtungsort, von dem alle Besuche ausgingen. Die große Besonderheit – nach London oder Oxford kann jeder, nicht aber in die Universitätscolleges und hinter die Kulissen der Kathedralchöre und Organistenausbildung.

Die erste Station am Samstag, 8. Juni war Oxford, wo Dorothea Harris, unsere Spezialistin und ehemalige Studentin der Corpus Christi College gemeinsam mit ihrer ehemaligen Dozentin Dr. Katharine Pardee uns in die „learning by doing“ – Ausbildung der Collegeorganisten, aus denen sich danach die überwiegende Zahl der Kathedralorganisten Englands rekrutiert, einführte. Im ersten Jahr lernen sie die Abläufe und zu spielende Stücke von dem Senior Organist, im zweiten Jahr kommt die Chorleitung zunehmend vor, und im dritten Jahr die Ausbildung der nächsten Generation. Ein anstrengender Job, der durch ein großes Zimmer und eine Reduktion der Studiengebühren honoriert wird, aber auch hervorragend vorbereitet auf eine spätere Arbeitsstelle. Stefan Kammerer hielt außerdem ein sehr informatives Referat über die Eigentümlichkeiten britischer Orgeln. Wir sahen Balliol und St Peter’s Colleges und hatten die Möglichkeit, auf den dortigen Orgeln zu spielen (bei einigen sehr leise, weil gerade nebenan Prüfungen stattfanden).

Höchst interessant und für deutsche ChorleiterInnen nur schwer erreichbar: die Jugendlichen proben täglich in ihrer Schule. Bei der Probe vor dem Gottesdienst werden dann nur noch unsichere Stellen geprobt. Die Sänger heben die Hand, wenn sie einen Fehler erkannt haben und selbst beheben können. Die von uns gesehenen Proben waren unglaublich diszipliniert und schnell – ein Traum für alle Dirigenten! Nach einem vollen Schultag konnte man sehen, dass die Jungen eher zum Herumalbern neigten, aber durch ein „eyes up!“ waren sie voll konzentriert. Am späten Nachmittag in Christchurch College durften wir an einer Probe teilnehmen und den Evensong besuchen. Wie in fast allen Kirchen wurden wir im Gottesdienst speziell begrüßt – an einigen Stellen waren sogar die Lieder speziell für uns ausgewählt.

Am 9.6. ging es nach London. In der Westminster Abbey) durften wir ganz vorn sitzen und uns eine sehr interessante, recht politische Predigt anhören. Zwei Organisten saßen quasi auf dem Lettner, wo sich auch eine der Orgeln befand. Schon vor dem Gottesdienst wurde unsere Gruppe musikalisch mit einer makellosen Aufführung der d-Moll Triosonate von J.S. Bach beschenkt, und der Chor sang Musik von Thomas Tallis und Robert Parsons. Der Rest des Tages konnten wir Touristen sein, Tower, Themse und die Stadt bewundern.

Am Folgetag durften wir Winchester College besuchen, die älteste Schule Englands, die noch am selben Ort steht. Gegründet 1380, die Schule ist ein sehr traditionelles ehemaliges Jungeninternat, heute auch mit einigen Mädchen in dem Oberstufenjahrgängen. Hier bekamen wir eine Führung über das Gelände mit dem Organisten Ben Cunningham, der uns dann in die Orgel einführte und einige der Unsrigen spielen ließ.

Winchester selbst ist die ehemalige Hauptstadt des Königreiches Wessex, ein wichtiges religiöses Zentrum, in dem auch König Arturs Round Table des angeblichen Schlosses Camelot, zu finden ist.

Nach einem gemeinsamen Pizza Essen hatten wir etwas freie Zeit in der historischen Kleinstadt, und besuchten abends Evensong in der Kathedrale.

In Reading selbst besichtigten wir am 11. Juni eine von Father Willis hergestellte Orgel in der Town Hall, die quasi statt eines Orchesters für musikalische Aufführungen seit dem 19. Jahrhundert bis heute genutzt wird. David Pether, Mitglied des Organistenverbandes der Gegend, führte die Orgel vor und spielte „Nimrod“ aus den Enigma Variationen von Edward Elgar, bevor wir das Instrument ausprobieren durften.
 
Unsere letzte Zugfahrt brachte uns nach Guildford, in die jüngste Kathedrale des Königreichs (1961 fertig gebaut), an der Dorothea auch als Praktikantin tätig war. Ein Redbrick Gebäude, eher brutalistisch als schön, aber innen hell und freundlich. Wir trafen dort auf Katherine Dienes-WIlliams die Vorsitzende des Cathedral Organists‘ Association, die uns über die derzeitige Situation informierte, die nicht immer rosig aussieht – die herausragende Leistung, die die Kinder und Jugendlichen an Kathedralen zeigten, sei natürlich nur bei ca. 5% der Kirchenchöre in England vorstellbar. Uns beeindruckte ihre Probe mit dem Mädchenchor, der nach Klang sortiert ist und in dem alle Altersstufen von 7 bis 17 Jahren vertreten sind. Die Jüngsten („Probationers,“ oder „in Probezeit“) bekommen Einzelunterricht bei den jüngeren Kantoren für eine Weile während der Proben und werden so langsam eingeführt. Auch hier das System des Hand-Hebens, wenn man einen Fehler gemacht und bemerkt hat.
 

Zum Abschluss durften wir gemeinsam ein Dinner bei Bills einnehmen – danke dafür!

Alles in Allem war dies eine unglaublich schöne, großartig durch Dorothea Harris und Uwe Maibaum organisierte Reise, die dicht und erkenntnisreich, anstrengend und absolut spannend war.

Reading, Guildford